"So schlecht ist es um die Digitalisierung nicht bestellt"

Thorsten Jacobsen im Gespräch mit dem vdwmagazin. In der aktuellen Ausgabe (4_2020) gibt der geschäftsführende Gesellschafter der GAP-Group seine Einschätzung zum Stand der Digitalisierung der Wohnungswirtschaft und den bisherigen Erkenntnissen aus der Corona-Krise.

magazin: Herr Jacobsen, welche wichtigen Erkenntnisse in Sachen Digitalisierung hat unsere Branche während der Corona-Krise sammeln können?

Thorsten Jacobsen: Die wichtigsten Erkenntnisse für die Branche sind sicherlich, dass die Wohnungswirtschaft durch die Pandemie bisher keinen erkennbaren großen Schaden genommen hat und sich relativ gut und schnell auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellen konnte. Die Corona-Krise hat in unserer Branche auch in Sachen Digitalisierung keine gravierenden Defizite oder Versäumnisse offengelegt, da waren anderen Branchen oder Institutionen sicherlich stärker betroffen. Doch ohne Frage, es konnten auch Verbesserungspotenziale bei der Digitalisierung von Prozessen identifiziert werden. Ein Paradebeispiel dürfte hier die Interaktion mit Mietern und Geschäftspartnern darstellen. Aber mir sind keine Kunden bekannt, die nun durch die einschränkenden Maßnahmen des Lockdowns ihrem Geschäft nicht mehr nachgehen konnten. Die Erkenntnis also: So schlecht ist es um die Digitalisierung und den richtigen Einsatz von Unternehmenssoftware in der Wohnungswirtschaft nicht bestellt.

magazin: Nehmen wir das Thema Homeoffice: Was haben wir gelernt, wie sind die Perspektiven aus Ihrer Sicht?

Jacobsen: Wir haben gelernt, dass das Arbeiten aus dem Homeoffice technisch problemlos möglich ist. Wir selbst haben den Großteil unseres Unternehmens innerhalb kürzester Zeit ins Homeoffice verlegt. Das Gleiche trifft auf unsere Kunden zu. Die laufende Zusammenarbeit hat darunter nicht gelitten. Der Support findet eh telefonisch oder online statt und innerhalb kurzer Zeit konnten wir unseren gesamten Consulting- und Beratungsapparat auf Online-Schulungen und Video-Konferenzen umstellen. Das alternative Angebot haben die Kunden, teilweise selber noch im Homeoffice, bereitwillig angenommen und schnell festgestellt, dass durch die wegfallenden Reisezeiten gemeinsam sehr viel effizienter und nachhaltiger gearbeitet werden konnte.

In manchen Fällen sind persönlicher Austausch und Präsenz vor Ort dennoch nicht zu ersetzen. Wir sind in Teilen auch wieder zu unseren gewohnten Außendiensttätigkeiten bei den Kunden vor Ort zurückgekehrt. Aber die Erkenntnis, dass es zu den Präsenzterminen in vielen Fällen auch eine ressourcenschonende Alternative gibt, wird bleiben. Genauso wie wir nun endgültig wissen, dass die Alternative „Homeoffice“ auch Vorteile bietet und so bei der künftigen Arbeitsplatzgestaltung und -ausstattung eine nicht mehr wegzudenkende Rolle spielen wird.

magazin: Wird der Vermietungsprozess in Zukunft noch digitaler – immerhin werden Wohnungen schon virtuell präsentiert? Was könnte das für die ERP-Systeme bedeuten?

Jacobsen: Der Vermietungsprozess gehört zu den zentralen wohnungswirtschaftlichen Prozessen, der angetrieben durch die Vermarktung über Internetplattformen seit jeher am weitesten digitalisiert ist. Hier stand auch schon viel früher der Mietinteressent mit seinen Wünschen und Informationen im Mittelpunkt des Prozesses und digitalen Leistungsangebotes, während in der Beziehung zum Mieter der Nutzen der digitalen Kontakt- und Austauschmöglichkeiten über CRM- und Portallösungen gerade erst erkannt wird.

Der Vermietungsprozess ist also schon sehr weit durchdigitalisiert, sowohl im ERP-System als auch durch zusätzliche mobile Wohnungsabnahmen und integrierte Online-Vermarktungstools bis hin zur virtuellen Besichtigung. Es fehlt eigentlich nur noch der digitale Mietvertrag. Aus einer aktuellen Kundenumfrage, an der 110 unserer Kunden teilgenommen haben, geht hervor, dass rund 20 Prozent der Kunden den digitalen Mietvertrag heute schon relevant finden. Gut ein Drittel sehen eine mögliche Nutzung in zwei bis vier Jahren, wenn es die rechtlichen Rahmenbedingungen erlauben. Bleibt knapp die Hälfte der Befragten, die einen digitalen Mietvertrag noch nicht als relevant erachten. Es ist also wie mit so vielen Bereichen im Zuge der Digitalisierung: der Bedarf wächst, aber es wird sich nicht über Nacht alles verändern. Somit bleibt der Wohnungswirtschaft noch genug Zeit, sich darauf einzustellen.

magazin: Vielen Dank, Herr Jacobsen, für die kurze Einschätzung.

 

Das komplette Magazin (Ausgabe 4_2020) können Sie »HIER« nachlesen.